Unten am Fluss


Kategorie: contemporary drama

Wasser, kaltes. In Wahrheit bloß geschmolzener Schnee, nur nicht mehr ganz so rein. Es fließt, fließt, trägt die Zeichen von Jahreszeiten mit sich und auch wieder fort. Wo? Dort unten, den Schotterweg entlang, im Flussbett natürlich. Das von hier oben nicht zu sehen ist, weil sich das Gelände wölbt wie der Bauch von einer, die bald wirft. Zu hören ist es, das Wasser, wenn man still ist, wenn man sich den Lärm der spielenden Kinder wegdenkt und wenn man aufpasst, mit dem Schotter unter den Fußsohlen nicht zu laut zu knirschen.

Dort oben am Schotterweg, an einem Punkt, an dem der Fluss gerade noch verborgen bleibt, da steht der Mann und deutet nach unten. Ja, da unten sind sie, der Fluss und das Wasser.

Zerfurcht, wenn auch nicht vom Alter, ist das Gesicht des Mannes. Beinahe zur Statue erstarrt, nur die Hand und der ausgestreckte Finger zittern deutlich. Man merkt es ihm an, dass sich in seinen Furchen Geschichten verstecken, in jeder Furche eine andere vielleicht, aber davon will der Mann nichts wissen. Stattdessen erzählt er eine andere Geschichte, eine, die nicht seine ist. Er redet von dem Fluss, oder von einem anderen, und von einem Platz, wo früher die Waschweiber saßen, tratschten oder auch sangen, während sie ihre vor Kälte roten und klammen Hände wieder und wieder ins Wasser tauchten, ins nicht ganz so reine, aber die weißen Laken wurden immer weiß, so lange wurden sie geschrubbt und gewrungen.

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Ohne Thema – Ein Erzählband


Ohne ThemaNoch ein schneller Beitrag in eigener Sache:

Ich hatte für den Arbeitstitel KreaBunt-Event letzten November ein paar meiner Texte und Geschichten ausgewählt, sie selbst verlegt und beim Event aufgelegt. Da mir ein paar Exemplare übrig geblieben sind, will ich die Gelegenheit nutzen und sie euch, meinen treuen (oder auch gelegentlichen) Bloglesern, nicht vorenthalten.

Ich sagte schnell, gell?

Nun … damit das Büchlein in der Blogchronologie nicht nach unten und somit ins Nirvana rutscht, habe ich ihm sowohl eine eigene Seite gegönnt (und diese dann direkt im Hauptmenü verlinkt – unter „Bücher“, denn wer weiß, vielleicht kommen ja noch mehr, irgendwann) als auch einen Platz in der Sidebar eingeräumt. Jedenfalls trägt es den Titel „Ohne Thema“ – und warum das so ist, lest ihr am besten gleich dort nach.

Das war’s auch schon. Auf Wiedersehen, baba, tschüss und weg,

euer Sam

„Bücherzellenblues“ online


So, jetzt mache ich es kurz und schmerzlos: Nachdem mich „das Internet“ fast eine Stunde lang gefuchst hat, weil ich schlichtweg keine zuverlässige Verbindung hatte (was durchaus nicht üblich ist – aber das fällt wohl unter Murphys Gesetz), sage ich nur:

Das Projekt Bücherzellenblues ist online.

Wie vor einer Woche bereits angekündigt ist dies ein Gemeinschafstprojekt von einer lieben Freundin (die unter dem Namen Lillyn Bell auftritt) und mir. Wir werden dort regelmäßig schreiben, derzeit sind zwei Beiträge pro Woche geplant, und nein, wir schreiben nicht „live“, sondern auf Vorrat – was zugleich bedeutet, dass dieses Schreibprojekt durchaus noch im Wachsen und noch lange nicht abgeschlossen ist.

Worum es geht? Nun, Leserinnen und Lesern von Daniel Glattauers „Gut gegen Nordwind“ wird der Aufbau nicht ganz unbekannt vorkommen, und ja, unser Projekt hat wohl ein ähnliches Zielpublikum. Zur Einstimmung empfehle ich, erst „Über dieses Projekt“ auf o. a. Seite zu lesen, im Weiteren erklärt sich das alles recht rasch von allein.

Nun denn. Ich hoffe, der eine oder die andere folgt uns dorthin und hat beim Lesen genauso viel Spaß wie wir beim Schreiben. Ich freue mich, euch dort wiederzutreffen!

(Ach ja, eines noch: Die Links in meiner Sidebar habe ich freilich ebenfalls aktualisiert bzw. ergänzt.)

Visitation (1/3)


Kategorie: contemporary horror

Vorwort

Ein Vorwort klingt immer ein bisschen nach einer Rechtfertigung, weswegen ich es üblicherweise unterlasse. Ausnahmen bestätigen freilich die Regel, und diese Geschichte hat ebenfalls eines verdient – und nicht aus Gründen, mich zu rechtfertigen.

Der Anfang dieser Geschichte ist nun etwa sechzehn Jahre alt und entstand als Teil eines Projektes: Zu viert wollten wir je den Anfang einer Geschichte schreiben und dann reihum weiterreichen, um letztlich vier Geschichten zu erhalten, an denen wir alle mitgewirkt hatten. Mit Begeisterung hatte jede und jeder von uns mit seinem Teil begonnen, ihn in der ausgemachten Reihenfolge weitergegeben und – nichts. Es kam noch, sofern ich mich richtig erinnere, zum zweiten Teil ausgerechnet meiner Geschichte, aber die anderen drei (inklusive mir) hatten mit der entsprechenden Vorgabe nichts anfangen können. Ein fehlgeschlagenes Projekt also.

Mein Anfang dümpelte danach jahrelang in der virtuellen Schublade rum, bis ich ihn irgendwann wieder hervorkramte und mir dachte: Daraus könnte ich noch etwas machen. Wann genau das gewesen ist, weiß ich nicht mehr, aber bestimmt erst sechs, sieben Jahre danach. Den Teil, der nicht von mir stammte, habe ich dabei freilich verworfen (nicht, weil er schlecht gewesen wäre, sondern weil er nicht von mir ist).

Was ihr nun vor euch habt, ist eben jener Anfang bis zu der Stelle, an der ich ihn seinerzeit weitergereicht hatte. Er (so wie die gesamte Geschichte) wurde allerdings grundlegend überarbeitet – im Gegensatz zur Kurzgeschichte „Die Mauer“ (der eine oder die andere erinnert sich vielleicht noch daran).

Eines ist vielleicht noch erwähnenswert: das Genre. Wie bereits zugegeben, hatte ich mich früher von Autoren wie Stephen King und Clive Barker inspirieren lassen, und die Intention hinter dem genannten Projekt war, vier blutige Geschichten zu schreiben („Splatter“ nennt man das, wenn der Fokus dabei nicht unbedingt auf der Handlung liegt, sondern eher auf der expliziten Darstellung von Gewalt). Nur damit ihr wisst, was euch erwartet, sofern ihr weiterlest. 😎

Ach ja – auf die ausständigen zwei Teile lasse ich euch freilich nicht lange warten.

„Nein. Nein. Nein.“

Unablässig wiederholte Cedric dieses Wort, während er mit seinem alten Ford Escort – der Rost sei ihm gnädig – durch die Stadt fuhr. Er flüsterte es, so als ob es Unheil bedeutete, es laut auszusprechen. Oder es nicht auszusprechen, wie um sich den Teufel vom Leib zu halten.

Das Wageninnere stank. Er stank. Es war ihm einerlei. Andere, dringendere Probleme verdrängten die verblassende Erinnerung an die letzte Dusche. Obwohl diese Probleme zugegebenermaßen ebenso mit seinem körperlichen Wohlbefinden zu tun hatten.

Was will sie von mir? Immer und immer wieder stellte er sich diese Frage, jedoch nicht einmal geflüstert. Sie spukte in seinem Kopf seit der ersten gemeinsamen Nacht. Und er kannte noch nicht einmal ihren Namen.

Er nahm die Zigarettenkippe aus dem Mund und warf sie achtlos Richtung Fenster. Sie verfehlte den nicht einmal handbreit geöffneten Spalt, prallte an der Scheibe ab und landete auf seinem Schoß, wo ihr Glimmen letztlich erlosch, ohne Schaden anzurichten. Nach einigem Hin- und Herrücken fiel sie auf den Wagenboden und gesellte sich zu längst erkalteten Stummeln, wurde eine von vielen. Manche davon waren nicht einmal zur Hälfte abgebrannt.

Cedric fuhr mit über achtzig Kilometer die Stunde über Straßen, auf denen nur vierzig erlaubt waren. Die Straßenbeleuchtung, die den Inhalt des Fords in ein Lichtspiel trüber Farben verwandelte, erlosch mit einem Mal. Scheiße, dachte er. Er verringerte sein Tempo unwesentlich, denn er war ohnehin spät dran. Er konnte nur verlieren.

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Zum Hören: Da Tschusch


Nachdem es von Guinan eine Anfrage bezüglich Vertonung meines Mundarttextes gab, hatte ich sie darauf vertröstet, dass ich bei einer Lesung möglicherweise gefilmt werde. Was auch der Fall gewesen ist, allerdings war ich mit der Tonqualität letztlich nicht zufrieden. Deswegen hat das jetzt auch ein wenig länger gedauert als erwartet – aber heute ist es soweit: Ich stelle euch einen ganz frisch eingelesenen mp3-Stream zur Verfügung:

(Den Originaltext zum Mitlesen gibt’s hier.)

Was mich an dieser Stelle noch sehr interessiert, ist eure Meinung dazu, ob ich zukünftig öfters mal was Vertontes hier reinstellen soll. Ja, eure Meinung ist gefragt – sie wird einen direkten Einfluss auf meine Entscheidung nehmen! Das Kommentarfeld weiter unten ist eh nicht zu übersehen, und der Absende-Button ebensowenig, hoffe ich. 🙂

Kreatives Schreiben – 12.12.2011 (Splitter Extended V: Was du nicht siehst)


Aufgabe: Ich sehe, ich sehe, was du nicht siehst
Stichwort: –
Zeitvorgabe: Hausübung
Sonstige Bedingungen: –

Nachtrag: Es hatte sich im Gespräch herausgestellt, dass auch zwei meiner Freunde sich an dieser Übung probieren wollten. Die Ergebnisse könnt ihr bei MissPig und bei WoDu nachlesen.

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Großvaters Geschichte


Kategorie: contemporary fantasy, all age

In der Phase, in der jedes Kind beginnt, Sätze mit Warum und Wieso zu bilden, fragte ich meinen Großvater, warum er in dem komischen Stuhl mit den großen Rädern säße und nie aufstünde. Nicht seine Lippen, sondern seine Augen antworteten, und diese Antwort erschreckte mich so sehr, dass ich nie wieder danach fragte.

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„Wenigstens sie muss den Opa doch gern gehabt haben“, flüsterte ich einige Jahre später, während ich die Hand meiner Mutter drückte. Die Sonne stach vom Himmel, und der anthrazitfarbene Anzug, den ich trug, war mir mindestens um eine Nummer zu klein. Vater und Tante Sofie standen auf der anderen Seite des offenen Grabes, zu beiden Seiten des Rollstuhls. Einige weinten, selbst mein Vater, nur Großvaters Gesicht blieb trocken und unleserlich. Er hob seinen Blick, als der Sarg im weiten Schlund des Erdreichs verschwand, und sah mir geradewegs in die Augen. Ich drückte Mutters Hand fester.

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Jahre vergingen, in denen ich keinen Kontakt zu Großvater hatte. Das Bild von Großmutter, mit der ich so viel Zeit verbracht hatte, die mir oft Geschichten erzählt und mit mir Kuchen gebacken hatte, verblasste. Großvaters Gesicht blieb. Seine Augen, die mich anstarrten, und ganz besonders jener letzte Blick an Großmutters offenem Grab. In meinem ganzen Leben hatte ich weder davor noch danach so tiefe, dunkle Augen gesehen, die alles zu wissen vorgaben, aber nichts akzeptierten.

Es war das Bild dieser Augen, das sich mir aufdrängte, als meine Mutter mir sagte, dass ich die Semesterferien bei Großvater verbringen müsse.

„Ich bin alt genug“, protestierte ich, „ich komm die fünf Tage auch allein klar.“

Meine Mutter lachte, und ich bemühte mich wochenlang, dieses Ferienprogramm abzuwenden. Vergeblich.

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